Eine Managementstudie von 2002 der internationalen Consultants Czipin & Proudfoot weist nach, dass in Deutschland über ein Drittel der Arbeitszeit unproduktiv verschwendet wird, und zwar aufgrund von mangelnder Planung, Steuerung, Führung und Aufsicht. Über 80 Tage im Jahr gehen so sinnlos verloren. In der gleichen Studie wird eine „erschreckende Mutlosigkeit“ der Führungskräfte konstatiert in Bezug auf die Rückgewinnung dieses Potenzials.
Wenn Menschen sich komplexen Zusammenhängen gegenüber sehen, entscheiden und verhalten sie sich oft nicht rational. Wenn die anstehenden Probleme scheinbar verworren und undurchschaubar scheinen, ergeben sich ineffektive Verhaltensweisen. Wissenschaftler in allen Industrieländern haben diese „Verhaltensauffälligkeiten“ untersucht. In Deutschland kann hier an vorderster Stelle das Institut für theoretische Psychologie der Universität Bamberg genannt werden. Die Professoren Harald Schaub und Dietrich Dörner haben eine Vielzahl konkreter Untersuchungsergebnisse vorgelegt, aus denen nachstehend einige Verhaltensweisen von Menschen aufgelistet werden sollen:
Aktionismus
Das Umfeld für Entscheidungen und Handlungen bleibt unberücksichtigt, man setzt die Scheuklappen auf und entscheidet aus dem Bauch heraus. Die getroffenen Entscheidungen führen dann zu neuen Problemen, die eigentlich beabsichtigten Ergebnisse stellen sich nicht ein. Zunehmender Zeitdruck und die ungenaue Kontrolle getroffener Maßnahmen verleiten dazu, hektisch an allen Stellen zu drehen und zu schrauben, um doch noch etwas zu erreichen.
Beispiel: In einem Softwareprojekt wird in der entscheidenden Phase ein wichtiger Programmierer krank. Die verbleibende Mannschaft versucht hektisch, jeder an seiner Baustelle im Projekt, trotzdem irgendwie weiterzukommen. Der Projektleiter hofft auf ein Wunder.
Ad-Hocismus
Sobald ein konkretes Ziel ausgemacht und man sich endlich darauf verständigt hat, wird kurzerhand mit der Umsetzung begonnen. Vorausdenken, Planung und Berücksichtigung weiterer Einflüsse unterbleiben, weil keine Zeit ist oder man den gefundenen Kompromiss nicht gefährden will.
Beispiel: Eine Einzelhandelskette will neue Kassen einführen. Nach mehreren ermüdenden Meetings hat man sich auf Leitungsebene zu einer Marschrichtung für den Rollout durchgerungen. Sofort werden die Aufträge in die Fachbereiche verteilt und mit der Umsetzung begonnen. Absehbare Probleme mit der Umsetzung werden möglichst verdrängt, vielleicht lösen sie sich ja in Wohlgefallen auf bis es soweit ist.
Dringendes statt Wichtiges
Wenn man mit der Umsetzung einer Entscheidung beschäftigt ist, genießt dieses Ziel Vorrang. Obwohl vielleicht wichtigere Dinge auch zu tun wären, hat die gerade bearbeitete Aufgabe höchste Priorität. Das, was gerade anliegt, ist immer wichtiger als mögliche andere Aufgaben und Probleme, die man sowieso noch nicht sieht.
Beispiel: Für die Fussball-Weltmeisterschaft sollen die Spielergebnisse per E-Mail mehrmals täglich an die Kunden eines Internet-Providers verteilt werden. Es wird mit Hochdruck an der Fertigstellung der Softwaremodule gearbeitet. Die Weiterbildung der Programmierer für die neue Version der Programmierwerkzeuge wird verschoben. Das kann man später nachholen.
Durchwursteln
Es werden keine Ziele überlegt, sondern es werden die Probleme bearbeitet, die gerade vor einem liegen. Zusammenhänge, Nach- und Nebenwirkungen interessieren nicht. Die eigene Aktivität ist besser als ein scheinbar unproduktives Überlegen und Planen. Manche Dinge bleiben zwischendurch immer mal wieder liegen, weil etwas Dringendes dazwischen kommt.
Beispiel: Die Montagegruppe in der Einzelfertigung für Sonderanforderungen ist umzingelt von Arbeitsaufträgen. Alle Auftragszettel tragen mittlerweile die höchste Priorität. Da die Mitarbeiter der Montagegruppe keine anderen Informationen erhalten, bearbeiten sie immer gerade die Aufträge, für die alle Bauteile greifbar sind, deren Auftraggeber zuletzt bei ihnen war und Druck gemacht hat oder die bis zum Feierabend fertig werden können.
Fehldeutungen
Selbst wenn man bemüht ist, vor einer Entscheidung die Bedingungen für erfolgreiches Handeln zu überlegen, so erschwert die Komplexität der Zusammenhänge oft die Bildung eines Modells, das mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Oft können nur Teilaspekte beleuchtet und berücksichtigt werden, so dass die tatsächlichen Auswirkungen gar nicht bestimmt werden können. Die Praxis führt dann oft dazu, dass nicht nur durch das Handeln an anderer Stelle Nebenwirkungen auftreten, sondern die Voraussetzungen für das einmal gebildete Modell verschieben sich. Durch ein unangemessenes Modell gefährdet man vielleicht sogar gerade die Verhältnisse, die man eigentlich beibehalten wollte.
Flucht in Elfenbeinturm oder Gärtchen
Irgendwann meint man, keine Kraft mehr zu haben, um sich mit der Vielfältigkeit und der Vernetzung der Probleme auseinanderzusetzen. Man zieht sich in den Bereich zurück, wo man sich am besten auskennt, hinter den Zaun des eigenen Gärtchens. Man kümmert sich nur um überschaubare Dinge, die immer schon funktioniert haben.
Oder man macht sich ein eigenes Abbild der Wirklichkeit und zieht sich dann von der Realität zurück. Alle Pläne und Strategien gehen immer auf, denn sie beruhen ja auf dem eigenen, theoretischen Weltbild. Alles wird bestens laufen, wenn man nur nicht das Chaos der Realität herein lässt.
Ignoranz und Verschanzung
Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Aber das ist kein Problem, denn man hat ja die Wahrheit gepachtet. Nicht man selbst hat einen Fehler gemacht, sondern die anderen, die anderer Meinung waren oder sind, haben sich gegen einen verschworen. Nicht die eigene Kompetenz hat der Komplexität der Aufgabe nicht genügt, sondern die Entwicklung, so wie sie ist, ist eine Ausnahme, ein bedauerlicher Einzelfall, ein vorübergehende Abweichung auf dem Weg zu Ziel.
Methodismus
Früher ist man erfolgreich gewesen, mit Methoden, die ja so verkehrt nicht gewesen sein können, denn sie haben funktioniert. „Das haben wir immer schon so gemacht.“ Oft wurde aber nur in einem Ausschnitt der komplexen Wirklichkeit gehandelt. Solange man sich innerhalb der Grenzen dieses Ausschnitts bewegte, konnte Methode „08/15“ wunderbare Ergebnisse liefern. Doch ändern sich die Zusammenhänge oder betritt man Neuland, so können die bisherigen Vorgehensmodelle früher oder später zur Entgleisung führen. Vielfach wird solchen Herausforderungen dadurch begegnet, dass man die Prozesse noch straffer zurrt, die Handlungsvorgaben noch mehr reglementiert.
Planungsverliebtheit
Wer keine Planung hat, kommt schneller ins Handeln und vermeidet Abweichungen (Ohne Soll kein Ist). Genauso problematisch ist ein Zuviel an Planung. Die akribische Analyse der Ausganssituation und der zu erwartenden Ereignisse ist ein bequemes Rückzugsgebiet. Es gibt immer noch ein paar Detailfragen, die erst geklärt werden müssen…
Aber auch die Planung an sich birgt eine Gefahr. Wer einen Plan hat, fühlt sich oft sicher. Die hohe Meinung von der eigenen Kompetenz und das Gefühl, gut vorbereitet zu sein, können trügerisch sein. Denn wer sagt, dass der Plan die volle Komplexität der Aufgabe erfasst? Der Glaube an den Plan, die Überschätzung der eigenen Analyse kann einen Optimismus hervorrufen, der zu Unvorsichtigkeit und Hochmut führt.
Projektitis
„Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ’nen Arbeitskreis“ hieß es oft achselzuckend, wenn schon wieder ein komplexer Sachverhalt zwar nicht gelöst, aber immerhin noch abgeschoben werden konnte. Die moderne Variante zum Arbeitskreis sind Projekte. Für alles und jedes wird ein Projekt ins Leben gerufen, denn dann hat man einen Platz für das Problem gefunden, an dem es gut untergebracht ist. Man braucht nicht zu befürchten, dass das Problem Veränderungen in der Organisation verursacht, denn im Projekt ist es ja schön abgeschirmt. Noch dazu kann man Kollegen zum Projektleiter machen oder als Mitarbeiter in das Projekt entsenden (oder besser: abstellen?), die sowieso gerade nichts zu tun haben. Man hat zwar nichts wirklich voran gebracht, aber zumindest ist der Berg an Problemen schön verteilt worden.
Reparaturdienst
Ohne die große Problemlage wirklich umfassend analysiert und bewertet zu haben, widmet man sich im Tagesgeschäft den naheliegenden Dingen. Man arbeitet an „Lösungen“, aber nur so lange, bis sich die Sachlage wieder anders darstellt. Komplexe Problemlagen sind eben auch dadurch gekennzeichnet, dass sie dynamisch sind. Nach- und Fernwirkungen längst ad acta gelegter Entscheidungen führen mit Verzögerung zu Verschiebungen der Problemlage. Also sucht man sich jeweils die Stellen zur Bearbeitung heraus, denen man sich kompetenzmäßig gewachsen fühlt oder die einfach gerade „interessant“ sind. Oder man rennt wie die Feuerwehr von einem Brand zum nächsten.
Beispiel: Der Hotline-Mitarbeiter pickt sich aus der Warteschlange der Problemtickets auf seinem Monitor die leichten Fälle heraus, oder die fachlich für ihn interessanten, oder die von den Kunden, mit denen er am liebsten plauscht.
Sündenböcke und Verschwörungstheorien
Weil niemand die Komplexität einer Aufgabenstellung vollständig erfasst hat, ist jeder anderer Meinung, wenn etwas schief läuft. Man streitet sich über Fehlerquellen und wirft sich unterschiedlichste Schuldzuweisungen an den Kopf. Bestenfalls einigt man sich am Ende auf eine einzelne Ursache, denn das macht die Lösung des Problems leichter und gibt für das nächste Mal eine gute Richtlinie, worauf man achten will. Man hat die Probleme nicht mühsam analysieren müssen, sondern hat schnell und bequem einen Schuldigen ausfindig gemacht.
Beispiel: „Der Einkauf/der Vertrieb/der Zulieferer/das Wetter/die Chinesen/die Amerikaner/der Projektleiter/die Teamleiterin/der Kunde ist/sind schuld!“
Sturheit und Tunnelblick
Die eigene Sichtweise wird zum Maß aller Dinge erhoben. Alles was dieser Sichtweise nicht entspricht, wird kleingeredet, an den Rand wegargumentiert, zur Ausnahme von der ansonsten zeitlos gültigen Regel erkärt. Selektive Wahrnehmung bis hin zur Ignoranz sind die Folge.
Symptome statt Ursachen
Sachverhalte in der Praxis sind nicht linear. Sie sind in der Regel auch mit Rückkoppelungen, Schleifen und Verzweigungen versehen. Ob ein betrachteter Punkt nun die Ursache oder doch nur ein Symptom ist, ist oft nicht auf den ersten Blick zu entscheiden. Für eine genaue Betrachtung fehlt aber oft die Zeit oder die Zusammenhänge werden als solche geleugnet. Manchmal ist es auch ein Tabu, die Sichtweisen der Vergangenheit in Frage zu stellen: „das kann gar nicht anders sein, wieso denn auch?!“
Vagabundieren
Es gibt viel zu tun, packen wir’s an. Zwischendurch wird dann noch eben etwas Dringendes oder Wichtiges dazwischen geschoben. Und für diesen Kunden machen wir mal eine Ausnahme. Aber, vielleicht müsste ja doch das Eine erst vor dem Anderen getan werden. Wenn das dann ein paar Tage liegen bleibt, schadet es nicht. Man könnte, wenn man schon mal dabei ist, auch gleich dieses leidige Thema abhaken. das wartet nun schon eine Weile. Und schließlich hatten wir da ja die Vorarbeiten geleistet, wenigstens soweit es ging. Wenn jetzt die Unterlagen nicht auffindbar sind, können wir nichts dafür. In der Zwischenzeit können wir ja das Projekt XY auf den Weg bringen…
Verzettelung
„Wir können alles und der Kunde ist König.“ Fehlen klare Vorgaben, was die Organisation mittel- und langfristig erreichen will, so haben die Mitarbeiter wenig Anhaltspunkte, wo die Schwerpunkte des Handelns liegen sollen. Mit diesem Mangel gehen oft unklare Zieldefinitionen einher, die sich durch die gesamte Organisation fortpflanzen. Aufgabenstellungen werden fast ungefiltert zur Ausführung weitergegeben. Je mehr Anforderungen gestellt werden, desto größer wird die Hektik.
Wunschdenken
Aus Ad-Hocismus, unklaren Zielen, Informationsmangel und Zeitdruck entstehen Unsicherheit und Ungewissheit. Man hat zwar einen Plan, aber auf die Wechselfälle der Praxis ist man trotzdem nur unzureichend vorbereitet. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Plan funktioniert, wurde überschätzt. Bestimmte Bedingungen für eine erfolgreiche Abwicklung wurden wohlmeinend vorausgesetzt, es wird schon irgendwie gutgehen.
Beispiel: Projektleiter sitzen Probleme im Team häufig aus, weil sie denken, das sich entweder die Probleme schon irgendwie selbst regeln, oder man vorher ohnehin fertig sein wird.
Zielflattern
Menschen, die auf ein Ziel hinarbeiten und unterwegs auf unerwartete Komplikationen treffen, definieren oft einfach die Ziele um. Das Ist wird zum Soll erklärt. Man wollte sowieso dorthin, wo man angekommen ist. Insbesondere wenn man merkt, dass die Dinge sich in der Folge früherer Entscheidungen aufgrund von nicht vorhergesehenen Neben-, Nach- und Fernwirkungen so entwickelt haben. Und in der Folge geschieht dieser Wechsel der Ziele dann immer häufiger und ungenierter.
Beispiel: Um die Abrechnung von Projekt-Arbeitsstunden zu verbessern, wird ein elektronisches Zeiterfassungssystem eingeführt, mit dessen Hilfe die Mitarbeiter alle Zeiten bestimmten Konten zubuchen sollen. Um die Budgetgrenzen zu umgehen, buchen sie aber auf Anweisung des Projektleiters gegen Ende des Projekts auf Konten, die noch „Luft“ haben. Als dies zur Sprache kommt, findet der Chef die Vorgehensweise akzeptabel. Schließlich hätte man so alle Budgetposten optimal ausgenutzt.
Zielsturheit
Ohne Ziele geht es nicht. Aber wenn die Erreichung der Ziele Probleme macht, dann ist es ab einem Punkt angebracht, die Endgültigkeit der gewählten Ziele in Frage zu stellen. Doch das verursacht wieder Unsicherheit, scheint rückwärts gewandt zu sein. Lieber hält man stur an den einmal gesetzten Zielen fest, bevor man möglicherweise zu früh aufgibt. Lieber konzentriert man sich auf eines der gewählten Ziele und legt hier all seine Kraft hinein.
Zitat: „Das haben wir immer noch hingekriegt!“ Zuschlagen und Abhauen In komplexen Sachverhalten sind die meisten Handlungen von mehreren Voraussetzungen abhängig. Manches funktioniert nur, wenn die erforderlichen Bedingungen erfüllt sind. Oft kennen wir aber nicht alle Bedingungen. In dieser Situation neigen Menschen dazu, einfach irgend etwas zu tun. „Probieren geht über Studieren.“ Und wenn sich dann nicht die gewünschten Effekte einstellen, wird noch einmal nachgelegt, mehr Anstrengung aufgewandt, Druck gemacht. Am Ende ist eine Menge Porzellan zerschlagen und das Problem ist trotzdem nicht gelöst.
Beispiel: Das Softwareprojekt hinkt mehrere Wochen hinter dem Zeitplan her. Nachdem all sein Druckmachen scheinbar nicht geholfen hat, engagiert der Chef des Systemhauses kurzerhand 20 freiberufliche Programmierer über einen Personaldienstleister. Die Einweisung der externen Kräfte bringt das Projekt endgültig zum Stehen. Einige der seit Wochen an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeitenden angestellten Programmierer melden sich jetzt krank.