August 27, 2018

Das 3×3 im Umgang mit Komplexität

Eine wunderbare Eigenschaft von Komplexität ist, dass man mit wenigen allgemein gültigen Regeln schon sehr gute Ergebnisse hervorrufen kann. Die Naturwissenschaften stellen immer wieder fest, wie einfach doch die Regeln sind, nach denen Natur funktioniert (z.B. Vogel- und Fischschwärme).

Einfache Regeln helfen, souveräner zu entscheiden. Denn oft sind es nicht die zunächst naheliegenden Lösungen, die dauerhaft helfen. Unser „gesunder Menschenverstand“ führt uns oft in haarsträubende Sackgassen.

In komplexen Sachverhalten kommt es weniger auf die sofortige schnelle Lösung an. Wichtiger sind die mittel- und langfristigen Wirkungen. Um hier ein erfolgreiches Projekt, ein Team, eine erfolgreiche Organisation zu gestalten, kommt es auf die Entscheidungen an, die sich in ihren weitverzweigten Wirkungen positiv auswirken.

Die nachstehenden Prinzipien des wirkungsvernetzten Managements stammen unter anderem von Prof. Dr. → Frederic Vester , der sie schon vor 30 Jahren vorgestellt hat, und in seiner Arbeit für die UNESCO und den Club of Rome breite Anerkennung fand. Desweiteren stammen sie von Prof. Dr. → Fredmund Malik vom Management-Zentrum St. Gallen, der wesentliche Beiträge zur Theorie des Managements komplexer Systeme geleistet hat.

Funktion

  • Nutzung vorhandener Kräfte – in jedem System fliessen Kräfte, und deren Wirkung bemerkt man oft erst, wenn man versucht, an den Strömen im System oder am System selbst etwas zu ändern. So kann es z.B. bei Umstrukturierungen in Unternehmen oft bis zum Streik kommen, weil die von der Leitung beabsichtigten Änderungen auf Widerstände treffen. Es wäre dagegen für alle Beteiligten besser, die Kräfte überlegt so einzusetzen, dass die vorhandenen Kräfte nicht nur berücksichtigt, sondern mit genutzt werden, indem man sie geschickt umlenkt. Wie ein Jiu-Jitsu-Meister, der die anstürmenden Kräfte gekonnt in die gewünschte Richtung dirigiert. Wenn man aber stattdessen versucht, die Kräfte zu ignorieren oder gar gegen sie anzukämpfen, muss man nicht nur viel Kraft aufwenden, um zum Ziel zu kommen. Man trägt in der Regel auch Blessuren davon, wie ein Boxer, obwohl er vielleicht nach vielen Runden knapp nach Punkten gewonnen hat.
  • funktions- statt produktorientiert – was macht einen erfolgreichen Handwerksbetrieb für Sanitär und Heizung aus? Dass die Mitarbeiter neue Heizkörper schnell und kostengünstig einbauen oder auswechseln können? Oder dass sie Spezialisten sind für das behagliche Raumklima in beheizten Wohnräumen, egal welche Technologie welches Herstellers gerade aktuell ist? Wenn ein Unternehmen sein Projektmanagement nur darauf ausrichtet, eine bestimmte Art von Produkten, z.B. Tanker für die Binnenschifffahrt, möglichst schnell vom Auftrag bis zur Abnahme durchzubringen, läuft es Gefahr, zwar effizient aber inflexibel zu sein. Es gibt immer jemanden, der das Produkt ein bisschen billiger herstellen kann. Aber die Innovationskraft und das Gespür für den Markt vor Ort machen das System langfristig unabhängiger.
  • Symbiose und Kreislauf – in der Natur wird nichts verschwendet. Bündnisse zum wechselseitigen Nutzen sind eine intelligente Art der Vernetzung. Der Abfall des Einen ist der Rohstoff des Anderen. Wettbewerb um jeden Preis kann eine abgrundtiefe Abwärtsspirale bewirken. Coopetition und Cross-Selling sind Beispiele für intelligente Vernetzung im Wirtschaftsleben. Aber auch hier muss wieder ein Gleichgewicht erreicht werden: weder darf der Kleinere den Großen parasitär ausbeuten, noch sollte ein existenzbedrohendes Abhängigkeitsverhältnis entstehen. Es gibt keinen Gewinner und keinen Verlierer, alle sind Teil des Spiels und haben in der Regel ein Interesse daran, dieses Spiel so lange wie möglich mitzuspielen. Überzogener Erfolg des Einen auf Kosten des Anderen kann zum Zusammenbruch des ganzen Spiels führen.

Navigation

  • Entscheiden ohne ausreichende Information – wir können niemals ausnahmslos alle Einflussgrößen einer Entscheidungssituation berücksichtigen, dazu ist die Datenmenge zu riesig. In der Regel überlegen wir auch gar nicht, welche weitreichenden Abhängigkeiten bestehen und erkennen nicht die Komplexität der Zusammenhänge. Selbst die besten IT-Systeme können keine Hilfestellung geben, denn die Anhäufung und Auswertung von Daten gibt die Zusammenhänge nicht wieder. Es gibt mathematisch-physikalische Grenzen für die Verarbeitung von Daten, an denen auch Quantencomputer nichts ändern werden. Im Augenblick der Entscheidung fehlen Daten, die Zeit drängt. Was bleibt ist, getroffene Entscheidungen in ihren Auswirkungen zu beobachten und gegebenenfalls die Konsequenzen zu korrigieren, denn es ist gerade auch eine Eigenschaft komplexer Sachverhalte, dass man einmal ausgeführte Veränderungen nicht umkehren kann. Es gibt kein „Undo“.
  • Gestaltung und Lenkung von Systemen – Rationalisierung und Optimierung führen zur Eliminierung von Spielräumen. Und damit zum Verlust von Anpassungsfähigkeit. Das lässt sich auch nicht ausgleichen, indem man den einzelnen Menschen in dieser Organisation auffordert, sich mehr einzusetzen, kreativer zu werden, länger zu arbeiten. Denn seine Improvisationsgabe und seine Intuition wird durch Strukturen und Prozesse gerade ausser Kraft gesetzt. Auch der Gedanke, durch strenge Hierarchisierung und Einrichtung von straffen Befehlsketten könnte man, von oben herab, die Dinge wieder in den Griff bekommen, führt in eine Sackgasse. Das Denken in linearen Ursache-Wirkung-Kategorien führt ob der Mannigfaltigkeit der durcheinandergreifenden Einflüsse zu einer Lähmung, welcher dann wieder mit brachialen Methoden begegnet wird. Die Komplexität des Ganzen wird immer weniger wahrgenommen, man verliert sich in Einzelheiten.
  • Erweiterung unserer zukünftigen Möglichkeiten – Diese Regel geht auf Heinz von Foerster zurück, einen der Gründerväter der Kybernetik. Im Moment einer Entscheidung, wenn wir noch dazu erkennen, dass wir das Problem gar nicht umfassend erkennen und durchdenken können, kann es hilfreich sein, uns die Folgen unserer Entscheidung zu überlegen. Wenn wir durch die Wahl einer Alternative die zukünftigen Möglichkeiten erhöhen, erhalten und verbessern wir unsere Handlungsfähigkeit. Wenn wir jedoch durch die Wirkungen unserer Entscheidungen eingeengt werden, so führt dies letztlich zu Ausweglosigkeit und Stillstand. Alle neuen Firmenautos zu leasen, bringt oder erhält uns unsere Liquidität; in den kommenden Jahren sind wir aber an diese Verträge gebunden, es bestehen dauernde Ausgabeverpflichtungen. Ein Darlehen aufzunehmen, bringt sofort Bewegungsfreiheit, schränkt aber jahrelang unsere Entscheidungsfreiheit ein.

Prävention

  • indirektes Einwirken – mit der Vorstellung des klassischen Managements, man könne durch unmittelbares Eingreifen „die Dinge im Griff haben“, geht auch die Zuordnung dieser Steuerungsmacht an einige wenige in der Hierarchie einher. Doch gerade im operativen Bereich, im Tagesgeschäft werden unzählige Entscheidungen vor Ort getroffen. Eingriffe von oben werden oft geradezu als Störung und Behinderung empfunden. Eine unmittelbare, sofortige Korrektur konkreter Ergebnisse von Entscheidungen und Handlungen macht in einem komplexen Zusammenhang wenig Sinn. Die Folge ist in der Regel nur Verzettelung, Reparaturdienstverhalten und die Auslösung weiterer Nebenwirkungen. Sinnvoller ist es, die Zusammenhänge und Wirkungsnetze im System zu überdenken und behutsam anzupassen, um zukünftig bessere Ergebnisse zu bekommen.
  • schützende Rückkoppelungen statt direktiver Kontrolle – ein vernetztes System kann nur dann ein Gleichgewicht erreichen, wenn es sowohl über positive wie negative Rückkoppelungen verfügt. Positive Rückkoppelungen verstärken und treiben an, so wie ich beim Autofahren durch Gasgeben schneller werde und früher ankomme. Gleichzeitig müssen aber negative Rückkoppelungen das System bremsen, in unserem Beispiel Geschwindigkeitsbegrenzungen, damit es nicht zur Zerstörung des Systems kommt. Eine funktionierende Selbstregulierung ist für ein Gleichgewicht des Systems überlebenswichtig, da ansonsten unablässig mehr Kraft für Kontrolle und steuernde Eingriffe aufgewendet werden muss. In unserem Beispiel kann ein ausgebildeter Autofahrer wesentlich mehr Situationen meistern, als dies durch Schilder und Vorschriften erreichbar wäre.
  • Erfolg unabhängig vom Wachstum – unaufhörliches Wachstum bedeutet, dass ein vernetztes System auch in den Vernetzungen zunimmt, und zwar exponentiell. 2% ständiges Wachstum der deutschen Wirtschaft würde bedeuten, dass wir in 30 Jahren doppelt so viele Autos, Häuser, Straßen, Hotels, Krankenhäuser, Computer usw. hätten. Und in 60 Jahren das Vierfache; so hätte die Stadt Hameln statt heute 37.000 Autos dann 148.000 Autos, das wären bei gleichbleibender Bevölkerung dann etwas mehr als 2 Autos pro Einwohner. Irgendwann führt Wachstum in einem komplexen System dazu, dass die Stabilität des Ganzen verlorengeht und ins Chaos abgleitet. Das System verliert sein Gleichgewicht. Endloses Wachstum ist also nicht möglich, ohne dass sich das System zwischendurch reorganisiert. Wie eine Schmetterlingsraupe, die sich, statt größer und größer zu werden, nach einer gewissen Zeit verpuppt und zu einem Falter wird. Das Überleben des Systems darf nicht vom Wachstum allein abhängen.

Related Posts

Der Mensch als komplexes System

Der Mensch als komplexes System

Verhalten in komplexen Situationen

Verhalten in komplexen Situationen

Globales Beziehungsnetz

Globales Beziehungsnetz

Neben-, Nach- und Fernwirkungen

Neben-, Nach- und Fernwirkungen

Bernd Schulte Osthoff


Seit 1985 unterstützt Bernd Schulte Osthoff deutschlandweit Führungskräfte rund um Projektmanagement, Team- und Organisationsentwicklung, Führungspsychologie und Komplexität.

Your Signature

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}